Gegner der Lebensschutz-Demonstration in Annaberg-Buchholz Foto: Friedrich Pohl

Geg­ner der Lebens­schutz-Demons­tra­ti­on in Anna­berg-Buch­holz Foto: Fried­rich Pohl

Im Erz­ge­bir­ge ticken die Uhren anders als in den Metro­po­len des Lan­des. In Anna­berg-Buch­holz wer­ben Aus­la­gen in den Geschäf­ten damit, noch Anker für die DDR-Bohr­ma­schi­ne HBM480 am Lager zu haben oder bie­ten Klöp­pel­pap­pen feil, selbst eine Plis­see­bren­ne­rei ist hier noch zu fin­den. Auf Heck­schei­ben­auf­kle­bern ört­li­cher Klein­wa­gen liest man: „Deitsch un frei wolln mr sei, weil mr Arzge­bir­ger sei!“ oder schlicht: „Saur­krauts“. An den Mas­ten der Stra­ßen­la­ter­nen kle­ben statt »FCK NZS«-Aufklebern kopier­te Zet­tel, die zum gemein­sa­men Bibel­stu­di­um einladen.

Hier, wo Dun­kel­deutsch­land am fins­ters­ten ist, hat­te „Pro Choice Sach­sen“, laut Selbst­be­schrei­bung ein Bünd­nis femi­nis­ti­scher und anti­ras­sis­ti­scher Grup­pen, für den ver­gan­ge­nen Mon­tag zur Ent­schei­dungs­schlacht geru­fen: Mit Bus­sen aus Ber­lin, Dres­den und Leip­zig wur­den zwei- bis drei­hun­dert Demons­tran­ten in das beschau­li­che Städt­chen gefah­ren, um – so die Ziel­set­zung der Ver­an­stal­ter – den 7. „Schwei­ge­marsch für das Leben“ eines säch­si­schen Lebens­rechts­ver­ban­des zu stö­ren und „mit allen Mit­teln“ zu ver­hin­dern. Immer­hin: Die Sache war so hoch prio­ri­siert, daß man dafür sogar den ritu­el­len Pro­test gegen die gleich­zei­ti­ge Legi­da-Demons­tra­ti­on in Leip­zig fahrenließ.


 „Schweigemarsch für das Leben“ Foto: Friedrich Pohl

Schwei­ge­marsch für das Leben“ Foto: Fried­rich Pohl

Will­kom­mens­kul­tur auch für Ungeborene“

Hil­fe zum Leben statt Hil­fe zum Töten“ und „Will­kom­mens­kul­tur auch für Unge­bo­re­ne“ for­der­ten die Lebens­recht­ler; für die lin­ken Grup­pen der Gegen­sei­te offen­sicht­lich eine uner­träg­li­che Pro­vo­ka­ti­on. Etwa sechs- bis acht­hun­dert Teil­neh­mer aller Alters­ko­hor­ten hat­ten sich zum Schwei­ge­marsch am Erz­ge­birgs­kli­ni­kum ein­ge­fun­den, sie rekru­tier­ten sich haupt­säch­lich aus den pie­tis­ti­schen Grup­pen des säch­si­schen „Bible Belts“.

Und auch wenn die Akti­vis­ten der Gegen­sei­te nichts unver­sucht lie­ßen, die Lebens­recht­ler unter der Klam­mer „reak­tio­nä­re und rech­te Bewe­gun­gen“ irgend­wie in die Nähe von Flücht­lings­heim­an­zün­dern zu rücken: hier lief buch­stäb­lich die Mit­te der Gesell­schaft. Lang­sam schob sich der Zug durch die Stra­ßen und Gäß­chen zur Annen­kir­che, nur zwei­mal gelang es klei­nen Stoß­trupps der Gegen­de­mons­tran­ten, aus Neben­stra­ßen zu bre­chen und in die Nähe zu gelan­gen: Die Poli­zei, die bei­de Demons­tra­tio­nen mit gro­ßem Auf­ge­bot absi­cher­te, hat­te die Stö­rer inner­halb von Sekun­den iso­liert, kaum konn­ten sie im gesam­ten Zug wahr­ge­nom­men werden.

Zur Abschluß­kund­ge­bung der Lebens­recht­ler stan­den sich bei­de Grup­pen schließ­lich auf Ruf­wei­te gegen­über. Der rhei­ni­sche Publi­zist Mar­tin Loh­mann sprach über die Heu­che­lei einer Gesell­schaft, die dem Shred­dern von Küken mit mehr Empö­rung begeg­net als dem Zer­stü­ckeln des eige­nen Nach­wuch­ses und for­der­te Soli­da­ri­tät mit den Schwächs­ten der Gesell­schaft, den Kran­ken, den Alten, Behin­der­ten und eben auch den Unge­bo­re­nen; eine Unge­heu­er­lich­keit, die von der Gegen­sei­te mit „Halt die Fresse“-Rufen quit­tiert wurde.


 Lebensschützer demonstrieren gegen Abtreibung Foto: Friedrich Pohl

Lebens­schüt­zer demons­trie­ren gegen Abtrei­bung” Foto: Fried­rich Pohl

Wir ham’ Spaß und ihr habt nur Jesus“

Es war nicht leicht, aus der Kako­pho­nie der auto­no­mis­tisch unko­or­di­nier­ten Sprech­chö­re der Lin­ken Inhal­te zu sepa­rie­ren, soviel aber doch: „Deutsch­land ist Schei­ße, ihr seid die Bewei­se“ und: „Wir ham’ Spaß und ihr habt nur Jesus“, „Make femi­nism a thread“ for­der­te die „Inter­ven­tio­nis­ti­sche Lin­ke“ auf einem Trans­pa­rent, die „Links­ju­gend Solid Ber­lin“ warb für „Peri­ods against patri­ar­chy“. Obst­res­te und gebrauch­te, viel­leicht auch nur rot­ge­färb­te Tam­pons wur­den in Rich­tung der Lebens­recht­ler gewor­fen, frei­lich lan­de­ten sie im Poli­zei­kor­don, der die Grup­pen trennte.

Ernst­haft behin­dern konn­ten die Gegen­de­mons­tran­ten weder den Schwei­ge­marsch noch des­sen Abschluß­kund­ge­bung; das Erz­ge­bir­ge ist nicht Ber­lin, ist nicht Wackers­dorf, und ohne orga­ni­sier­ten Demons­tra­ti­ons­tou­ris­mus hät­te es hier über­haupt kei­nen Wider­stand gegen die Lebens­recht­ler gege­ben. Aber man hat wohl doch ein wenig Gefal­len anein­an­der gefun­den: Bei­de Grup­pen wol­len sich am 17. Sep­tem­ber in Ber­lin wiedersehen.

Nach Ende der Lebens­rechts­kund­ge­bung zog die Lin­ke zum Markt wei­ter, um ihrer­seits noch eine Schluß­ver­samm­lung abzu­hal­ten, rich­ti­ger wohl: ihre Abschluß­par­ty. Man hat­te einen Laut­spre­cher­wa­gen dabei und natür­lich die coo­le­re Musik als die Lebens­recht­ler und zur Gau­di der Pas­san­ten wur­den Gruß­wor­te in Eng­lisch und Pol­nisch verlesen.

Lang­sam geht die Son­ne unter, die Anti­fa ist nur noch mäßig moti­viert. Hei­ser macht man sich auf den Heim­weg, wie Tumb­le­weeds durch die Prä­rie rol­len noch ein paar ein­sa­me Luft­bal­lons über den Anna­ber­ger Markt. „Keep your rosa­ries off my ova­ries“ ist mit Filz­stift auf den einen geschrie­ben, „Sexis­ten gibt’s in jeder Stadt, bil­det Ban­den, macht sie platt“ auf den ande­ren. Dann ist der Spuk vorbei.

Quel­le: jun​ge​frei​heit​.de