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© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 — 3000 — 256/18
Der Schutz des ungeborenen Lebens in Deutschland
Sachstand
Wissenschaftliche Dienste
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Der Schutz des ungeborenen Lebens in Deutschland
Aktenzeichen: WD 7 — 3000 — 256/18
Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2018
Fachbereich: WD 7: Zivil‑, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung
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Inhaltsverzeichnis
1. Verfassungsrecht 4
2. Strafgesetzbuch 5
3. Bürgerliches Gesetzbuch 6
4. Nebenstrafrecht 8
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Das ungeborene Leben ist in Deutschland durch eine Vielzahl an Schutzvorschriften geschützt. Diese Kurzinformation soll einen gedrungenen Überblick über den verfassungsrechtlichen, den strafrechtlichen und den zivilrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens geben.
1. Verfassungsrecht
In verfassungsrechtlicher Hinsicht wird der Embryo durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2, Satz 1 des Grundgesetzes (GG) geschützt, vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100 – 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 13.07.2017 (BGBl. I S. 2347), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/ (Letzter Abruf: 10.12.2018).
Während der personale Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des „Menschen“ erfasst, schützt Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG das menschliche „Leben“. Durch das Grundgesetz werden dem Staat nicht nur unmittelbare Eingriffe in das menschliche Leben untersagt, er wird zugleich ver-pflichtet, sich schützend und fördernd vor jedes menschliche Leben zu stellen. Dies umfasst auch das ungeborene Leben. Begründet liegt diese Schutzpflicht in der Würde des Menschen nach Art. 1 Abs. 1 GG, ihr der Gegenstand wird in Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG bestimmt. Die Schutz-pflicht beginnt jedenfalls mit der Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter (sogenannte Nidation), denn fortan handelt es sich um ein individuelles, genetisch einmaliges und nicht mehr teilbares Leben. Das Ungeborene wird im Wachstumsprozess nicht erst zum Menschen, sondern entwickelt sich als solcher weiter, vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 28.05.1993 – 2BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, 1751 (1752).
Das Bundesverfassungsgericht hat offengelassen, ob der verfassungsrechtliche Schutz des menschlichen Lebens bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Fortschritts, der eine extrakorporale Entwicklung menschli-chen Lebens ohne eine Nidation ermöglicht hat, und der Auffassung des Bundesverfassungsge-richts, dass jedes menschliche Leben schützenswert ist, gesteht ein großer Teil der Literatur dem ungeborenen Leben bereits ab diesem Zeitpunkt den Schutz der Verfassung zu,
vgl. etwa Höfling, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 6. Auflage 2011, Art. 1, Rn. 60, Art. 2, Rn. 145; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber: Beck’scher Onlinekommentar Grundgesetz, 38. Edition, Stand: 15.08.2018, Art. 1, Rn 4.
Das ungeborene Leben ist mithin bereits Träger von Grundrechten. Eine Verletzung seiner Men-schenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG kann verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden, ein Ein-griff in Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG unterliegt dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 2, Abs. 2, Satz 3 GG.
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2. Strafgesetzbuch
Zunächst käme ein strafrechtlicher Schutz des ungeborenen Lebens durch die Straftaten gegen das Leben, insbesondere durch Mord (§ 211 des Strafgesetzbuchs (StGB)), Totschlag (§ 212 StGB), sowie die Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit nach den §§ 223 ff. StGB in Betracht, vgl. Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30.10.2017 (BGBl. I S. 3618), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ (Letzter Abruf: 10.12.2018).
Die §§ 211, 212 StGB knüpfen als Tatobjekt der Tötung jeweils an den „Menschen“ an. Die Kör-perverletzungsdelikte der §§ 223 ff. StGB stellen auf eine „andere Person“ ab. Im deutschen Straf-recht ist als maßgeblicher Abgrenzungszeitpunkt zwischen der Leibesfrucht und dem Menschen im strafrechtlichen Sinne überwiegend der Geburtsvorgang, genauer das Einsetzen der Geburts-wehen, anerkannt. Diese Unterscheidung ließ sich dogmatisch mit der alten Fassung des § 217 StGB begründen, in dem die Privilegierung der Tötung des Kindes durch die Mutter im Geburts-vorgang oder gleich nach der Geburt normiert war, vgl. § 217 StGB alter Fassung, in Kraft vom 01.01.1975 bis zum 01.04.1998, abrufbar unter: https://lexetius.com/StGB/217,3 (Letzter Abruf: 10.12.2018).
Aus dieser Privilegierung zu den anderen Tötungsdelikten ließ sich begründen, dass der Gesetz-geber für das StGB den Geburtsvorgang als maßgeblichen Zeitpunkt für den Übergang von der Entwicklung des Menschen in der Schwangerschaft zum „fertigen“ Menschen begreift. Gleicher-maßen wurde angenommen, dass auch die Körperverletzungsdelikte erst ab dem Eintritt der Er-öffnungswehen Schutz für das Kind entfalten. Doch auch nach der Streichung des § 217 StGB a.F. ist überwiegend anerkannt, dass die Tötungsdelikte und die Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit einen geborenen Menschen als Tatobjekt voraussetzen. Denn die Streichung des § 217 StGB a.F. beruhe nicht auf der veränderten Auffassung zum Tatobjekt des „Menschen“, sondern vielmehr auf der veränderten Auffassung zur Privilegierungswürdigkeit der Kindstötung im oder kurz nach dem Geburtsvorgang. Diese Ansicht lässt sich weiter durch den § 218 StGB stützen, der den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe stellt und damit das unge-borene Leben als Rechtsgut schützt. Eine sinnvolle Abgrenzung zwischen den Tötungsdelikten der §§ 211, 212 StGB und den Körperverletzungsdelikten einerseits und dem Schwangerschafts-abbruch andererseits, lässt sich dann vornehmen, wenn die §§ 211, 212 StGB und die Körperver-letzungsdelikte erst dann einschlägig sind, wenn das Kind geboren wurde bzw. die Eröffnungs-wehen eingesetzt haben, vgl. Schneider, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, Vorbemerkung zu § 211, Rn. 7.
Im Strafgesetzbuch ist das ungeborene Leben daher nach überwiegender Auffassung allein nach dem speziellen Tatbestand des § 218 StGB geschützt. In § 218 Abs. 1, Satz 2 StGB wird klarge-stellt, dass die Vorschrift ihren Schutz ab der Einnistung der befruchteten Eis in der Gebärmutter-schleimhaut (Nidation) entfaltet. Aus dem Umkehrschluss des § 218 Abs. 3 StGB, der den Schwangerschaftsabbruch durch die Schwangere selbst privilegiert, lässt sich ableiten, dass so-wohl der Selbstabbruch als auch der Fremdabbruch von dem Tatbestand erfasst werden müssen.
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Der Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB stellt die fahrlässige Begehung nicht ausdrück-lich unter Strafe, sodass ein fahrlässiger Schwangerschaftsabbruch gemäß § 15 StGB nicht in Be-tracht kommen kann, vgl. Gropp, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 218, Rn. 24.
In § 218a StGB werden Regelungen zur Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs getroffen, insbesondere zur Tatbestandslosigkeit des sogenannten „beratenen Schwangerschaftsabbruchs“. Gemäß § 218a Abs. 1 StGB ist der Tatbestand des § 218 StGB nicht erfüllt, sofern eine Schwan-gere den Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt verlangt, diesem eine Bescheinigung vorlegt, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind. In § 218a Abs. 2, 3 StGB wird festgelegt, dass der „indizierte Schwangerschaftsabbruch“ zwar den Tatbestand erfüllt, allerdings gerechtfertigt ist; in § 218a Abs. 4 StGB wird die persönliche Straf-freiheit der Schwangeren trotz rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch geregelt.
3. Bürgerliches Gesetzbuch
Die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit beginnt mit der Vollendung der Geburt, § 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB),
vgl. Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.01.2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 12.07.2018 (BGBl. I S. 1151), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/ (Letzter Abruf: 10.12.2018).
Die Rechtsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Von § 1 BGB wird jede geborene, noch lebende natürliche Person erfasst. Die Rechtsfähigkeit tritt mit der Vollendung der Geburt, also mit der vollständigen Trennung des Kindes vom Mutterleib auf na-türlichem oder künstlichem Wege ein. Doch auch dem bereits gezeugten, aber noch nicht gebore-nen Kind (Nasciturus) werden im Zivilrecht Rechte zugestanden. So kann der Nasciturus bereits Erbe sein (§ 1923 Abs. 2 BGB), ihm können Ersatzansprüche wegen der Tötung eines Unterhalts-pflichtigen zustehen (§ 844 Abs. 2, Satz 2 BGB), auch ein Vertrag zugunsten des Nasciturs‘ ist be-reits zulässig (§ 331 Abs. 2 BGB), vgl. Spickhoff, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 1, Rn. 5 ff.
Darüber hinaus stehen dem Nasciturus nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch bereits Haftungsansprüche nach dem Deliktsrecht des § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Ge-sundheitsverletzung im pränatalen Stadium zu, vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. 1. 1972 — VI ZR 46/71, Neue Juristische Wochen-schrift (NJW) 1972, 1126 (1126).
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Dies erfasst zum einen Fälle, in denen Dritte, insbesondere auch Ärzte, schädigend auf die Ge-sundheit des Embryos eingewirkt haben und dadurch eine Schädigung der Gesundheit des gebo-renen Kindes verursacht haben.
Ebenfalls erfasst werden davon Ansprüche des Nasciturus gegen den Vater. Dabei gelten keine Besonderheiten, der Vater haftet nach der Zeugung nach den allgemeinen Regeln und kann wie ein sonstiger Dritte seinem Kind gegenüber verpflichtet sein,
vgl. Hager, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, § 823 A‑D, Neubearbeitung 2017, § 823, Rn. B 48.
Darüber hinaus können auch Ansprüche des ungeborenen Kindes gegen seine Eltern nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wenn etwa bekanntermaßen ein Elternteil an einer anstecken-den Krankheit oder Erbkrankheit leidet und das Kind infolgedessen krank oder behindert zur Welt kommt. Für die Eltern besteht dabei keine Rechtspflicht, auf Kinder zu verzichten, weil die Gefahr einer Erkrankung oder Behinderung des Kindes besteht, denn einer solchen Pflicht der Eltern stünde bereits deren verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Persönlichkeits-recht entgegen. Jedoch können im Einzelfall von diesem Grundsatz Ausnahmen gemacht werden, etwa wenn ein Partner vorsätzlich die Aufklärung über seine Erkrankung unterlässt. In solchen Einzelfällen soll der Partner auch gegenüber dem Kind nach dem Deliktsrecht haften, vgl. Hager, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, § 823 A‑D, Neubearbeitung 2017, § 823, Rn. B 46, B 47.
Uneinheitlich wird die Frage der deliktischen Haftungsverpflichtung der Mutter gegenüber dem Nasciturus während der Schwangerschaft beantwortet. Zum Teil wird eine deliktische Haftung der Mutter etwa bei Schädigungen des Nasciturus‘ durch die Ausführung von Extremsportarten oder den Konsum von Alkohol oder Drogen angenommen. Ein uneingeschränktes Dispositions-recht der Mutter über die Gesundheit des Embryos könne bereits durch die Wertungen des Ab-treibungsrechts nicht bestehen. Weiter sei die Mutter auch dem geborenen Kind durch die elterli-che Sorgfalt nach § 1664 BGB bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz zum Schadensersatz ver-pflichtet, sodass gegenüber dem ungeborenen Kind nichts anderes gelten dürfe,
vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 823, Rn. 205.
Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, dass für die Mutter keine Pflicht zu einer be-stimmten Lebensführung bestehe. Das Zivilrecht könne die werdende Mutter nicht in ihrem Le-benswandel kontrollieren, dies gebiete bereits ihr Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG,
vgl. Hager, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, § 823 A‑D, Neubearbeitung 2017, § 823, Rn. B 49.
Doch auch nach dieser Ansicht kommt eine Haftung der Mutter bei einer vorsätzlichen Schädi-gung des Kindes in Betracht, etwa bei einem fehlgeschlagenen Abtreibungsversuch.
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4. Nebenstrafrecht
In den Gesetzen des Nebenstrafrechts wird das ungeborene Kind durch das Embryonenschutzge-setz und das Mutterschutzgesetz geschützt.
Das Embryonenschutzgesetz begründet insbesondere die Strafbarkeit der missbräuchlichen „In-vitro-Fertilisation“, einer bestimmten Art der künstlichen Befruchtung, und bestimmte Verwen-dungen menschlicher Embryonen verhindern, vgl. Embryonenschutzgesetz vom 13.12.1990 (BGBl. I S. 2746), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21.11.2011 (BGBl. I S. 2228), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/eschg/index.html (Letzter Abruf: 10.12.2018).
Im Mutterschutzgesetz werden insbesondere für das Arbeitsverhältnis der schwangeren Frau re-levante Regelungen getroffen, die auf den Schutz des ungeborenen Kindes abzielen,
vgl. Mutterschutzgesetz vom 23.05.2017 (BGBl. I S. 1228), abrufbar unter: https://www.ge-setze-im-internet.de/muschg_2018/ (Letzter Abruf: 10.12.2018).
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